Herman Wouk lebt noch: Rezension

Version vom 21. August 2013, 11:51 Uhr von Tussauds (Diskussion | Beiträge) (Croaton (5 / 5))


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Croaton (5 / 5)

Stephen Kings Kurzgeschichte Herman Wouk is Still Alive habe ich am Stück zweimal hintereinander gelesen, so sehr hat mich ihr Schluss schockiert und so dringend war mein Bedürfnis, noch einmal zurückzugehen und nachzuvollziehen, was die Protagonistin Brenda zu ihrer Verzweiflungstat trieb.

Und erst wenn man weiß, worauf diese literarische Perle hinausläuft, kann man sie in ihrer ganzen Genialität schätzen. Wenn King den Gegensatz zwischen tristem Alltag (Brenda und ihre Freundin Jasmine) und den von allen irdischen Problemen losgelösten Poeten Phil und Pauline skizziert, kann man den Pinselstrich nur als meisterlich bezeichnen. Die Namen der insgesamt sieben (!) Kinder der beiden Freundinnen reflektieren ihre Desillusionierung (siehe etwa Freddy); ihrer beider Leben ist so verkorkst, dass selbst die Tatsache, dass Jasmine von ihrem eigenen Vater im Alter von 15 Jahren vergewaltigt wurde, zu einer Fußnote verkommt.

Die Szenen im Auto während der Spritztour der beiden Frauen muss man einfach zweimal lesen. Obwohl sie sich über ihren Ausflug freuen möchten, gerät ihr Gespräch zu einer Spirale der Verzweiflung, an deren Ende die Hoffnungslosigkeit steht. Wie düster sich für Brenda die Zukunft abzeichnet wird klar, wenn sie die gerade einmal sechs Monate alte Delight schon zur Schlampe heranwachsen sieht und davon ausgeht, dass alle Jungen im Auto später einmal als Soldaten in sinnlosen Kriegen fallen werden.

Und dann der Moment der Wahrheit, der zu einer ausweglosen Kettenreaktion führt: Jasmine bietet der Fahrerin Brenda Alkohol an. Sie willigt ein – und nun fallen die Dominosteine. Brenda fragt, wie schnell das Auto wohl fahren kann. Jasmine antwortet: "Finden wir's raus." Brenda beschleunigt. Die beiden Frauen nicken sich zu. Jasmine hebt ihr jüngstes Kind von ihrem Schoß und presst es sich an die Brust. Brenda fährt mit Vollgas gegen einen Baum.

Doch mit dieser furchtbaren Tat nicht genug: Nun kommen Phil und Pauline zur Unfallstelle und sehen das Ausmaß der Katastrophe, die ihr Weltbild zerbrechen lässt. Phil kauert am Ende verzweifelt inmitten der Leichenteile, Pauline fühlt sich von jeder Poesie verlassen, die in einer Welt, in der so etwas passieren kann, einfach nichts verloren zu haben scheint.

Erst im Nachhinein wird klar, dass das grausige Ende für beide Frauen schon früh – zumindest unterbewusst – feststand. Brenda schimpft sich anfangs selbst für die hohen Ausgaben für den Leihwagen … Sieht sie ihren Ausflug aber bereits als Trip ohne Rückfahrtsschein? Kaum hat Jasmine sich dazu entschlossen mitzufahren, als sie schon vorschlägt, eine gute Flasche Brandy mitzunehmen …

Fazit: Kings Blick in die Psyche zweier vom Leben vergessener Frauen, die sich und ihren Kindern künftiges Elend ersparen wollen und dazu zum Äußersten bereit sind, gehört mit Sicherheit zum Trostlosesten, was er je verfasst hat. Aber die nur 6.300 Wörter, die wie eine einzige gewaltige Ohrfeige daherkommen, haben genau das mit mir gemacht, was eine gute Geschichte schaffen soll: Sie haben mich noch tagelang beschäftigt und aufgewühlt. Volle 5 Punkte für die schiere Wucht der freigesetzten Emotionen.

Wörterschmied (1 / 5)

Ähnlich wie bei Premium Harmony entführt King uns in einen Tagesausflug von zwei Personen, der plötzlich mit dem Tod endet. Der Tod von Brenda und Jasmine ist dramatisch dargestellt und lässt den Leser kurz zusammenfahren. Dennoch genau der gleiche Fehler wie bei Premium Harmony: Die Charaktere sind einfach nicht sympathisch genug, als dass man viel Mitleid aufbauen könnte.

Dass King durchaus die Leidensgeschichte einer Frau erzählen kann, zeigt er in Dolores. Hier stellt er die Protagonistin Dolores Claiborne allerdings als starke Frau dar, weshalb man sich wünscht, dass ihr ein gutes Ende widerfährt. Brenda und Jasmine sind Heulsusen, die ihre Probleme mit sich selbst auf die Welt projizieren. Vorgeschichte schön und gut, aber wer mit sieben(!) eigenen Kindern im Auto Selbstmord begehen will, ist für mich kein Opfer, sondern ein Krimineller. Wie können Mütter davon ausgehen, dass ihre minderjährigen Kinder lieber tot wären, als ihr Leben ohne Mütter weiterführen zu wollen? (Gerade in diesen zwei Fällen wäre der Verlust minimal gewesen!) Das ist nichts als egoistisches Verhalten und siebenfacher geplanter Mord.

Genauso absurd ist der Titel, den King aufgrund einer verlorenen Wette nehmen musste. Ob Herman Wouk lebt oder nicht, spielt für die Geschichte überhaupt keine Rolle. Die Vorgabe "Interview w/ Oprah on Channel 6" oder "This horrifying sound of morning cereals" hätte zur gleichen Geschichte führen können. Vielleicht lag diese schon länger in der Schublade und King hat kurzerhand Herman Wouk einmal erwähnt, um seine Wettschuld einzulösen.

Einen Punkt gibts für den alten Dichter, der mich irgendwie an die Figur des Alten Weisen im antiken Drama erinnert.

Vorlage:Weiterführend Herman Wouk is Still Alive