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Revival: Rezension

190 Byte hinzugefügt, 11:14, 4. Okt. 2018
Horaz Klotz (3 / 5)
Mit ''Revival'' zeigt King mal wieder eindrucksvoll was ihn von anderen Horror-Autoren abhebt: Nicht die Monster, die kriegen andere gruseliger hin. Nicht die Handlung, die ist oft genug halbwegs vorhersehbar oder verläuft sich in etwas unmotivierten Enden. Es sind die Charaktere, mit denen er seine fantastische Welt bevölkert und die schnell ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. Charles Jacobs ist ein solcher Charakter. Nach den ersten Seiten glaubt der Leser zu wissen wohin sich der gute Reverend entwickeln wird, doch der Charakter schlägt immer wieder Haken, taucht an unvorhergesehen Orten und in überraschenden Rollen auf. Und bleibt trotzdem überzeugend konsequent. Als autodidaktischer Tüftler, der ganz nebenbei über große physikalische Geheimnisse des Universums stolpert, erinnert er an eine menschenfreundlichere Version von naturwissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern à la Dr. Axel Stoll, die nüchterne Formeln mit düsterer Esoterik verbinden. Der Unterschied ist, dass Jacobs in Kings durchgedrehtem Universum natürlich richtig liegt und in seinem Bastelkeller tatsächlich mal so eben alle Gesetze der Physik über den Haufen wirft. Nach dem dramatischen Unfall war ich mir eigentlich sicher, wie die Story weiter gehen muss und wer hier ''revived'' werden soll, aber die Geschichte schlägt eine andere Richtung ein. Jacobs letzte Predigt ist dann ein großartiger Höhepunkt dieses ersten Kapitels und könnte für sich schon das Ende einer netten kleinen Kurzgeschichte sein - aber King hat weitere Pläne für den Reverend.
Seine nächsten Inkarnationen als Jahrmarkt-Blitzkünstler und millionenschwerer Fernseh-Guru sind logische Fortsetzungen dieser genialen Ausgangslage. Jacobs hat alle Brücken zum bürgerlichen Leben abgebrochen und stürzt sich ganz in seine Arbeit. Dabei bleibt King immer gerade realistisch genug um mich - als elektrotechnischen Laien - bei der Stange zu halten. Besonders der ironische Kniff, dass der Wunderprediger Jacobs seine Bühne nutzt, um religiösen Fundamentalisten unter der Hand mit kalter, harter Wissenschaft zu heilen, gelingt perfekt. Eine witzige Umkehrung des ur-amerikanischen Schlangenöl-Händlers, der seinen esoterischen Humbug unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Fachbegriffen unters Volk bringt. Erst wenn King den Reverend gegen Ende ganz in die Rolle des gewissenlosen Superschurken drängt bricht der Charakter ein Stück weit. Waren es vorher nur vergleichsweise kleine Probleme mit Jacobs Motiven und Methoden - zum Beispiel die Frage, warum er sich darauf versteift die Menschen einzeln zu behandeln, statt seine fabelhafte freie Energiequelle zu Geld und der Menschheit zugänglich zu machen - ist diese Version jetzt so weit von dem kinderfreundlichen Sandburgenbauer vom Anfang entfernt, dass sie für mich nicht mehr wirklich funktioniert. Der geniale, vielschichtige Charakter wird hier auf den letzten Metern in eine Ecke geschoben, in die er nicht gehört. Immerhin hat er eine Statistik parat, die beweist, dass er trotz allen Nebenwirkungen einem ganzen Haufen Menschen geholfen hat. Heilung ohne Nebenwirkung und Restrisiko gibt es eben nicht.
Während Jacobs eine Wandlung nach der anderen durchlebt, mäandert unsere Hauptfigur ein bisschen ziellos durch die Jahrzehnte. Jamies - zumindest für Musikerverhältnisse - wohl recht typisches, mäßig erfolgreiches Leben kann stellenweise ein bisschen langatmig werden, schafft es aber diese wahnsinnige Geschichte um den wandernden Prediger der Kirche der Geheimen Elektrizität zu erden. Außerdem kann uns King so verhältnismäßig früh mit den anfangs noch halbwegs realistischen Spätfolgen von Jacobs Elektro-Therapie bekannt machen. Leider steht dieser mühsam aufgebaute Realismus ziemlich im Weg, sobald die Story ihren Schlenker in Richtung Monsterhorror nimmt und namenlose Schrecken in die Welt einbrechen. Aus nachvollziehbaren Nebeneffekten einer elektrischen Gehirnbehandlung wie gelegentlichen Gedächtnislücken, Zwangshandlungen und Wahrnehmungsstörungen, werden Killerameisen und das bizarre Mutter-Ungeheuer. Spätestens hier schlägt der Zeiger von netter charaktergetriebener ''Science Fiction'' zu trashiger ''Science Fantasy'' und King darf mal wieder seinen technik-feidlichen Zeigefinger erheben: "Das passiert eben, wenn sich Menschen in wissenschaftliche Bereiche einmischen, die sie nichts angehen."
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