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The Green Mile: Rezension

238 Byte hinzugefügt, 15:40, 29. Okt. 2018
Horaz Klotz (5 / 5)
Ganz märchentypisch wird auch bald klar, dass die Grenzen zwischen gut und böse hier oft sehr eindeutig gezogen sind. Dem Unschuldslamms Coffey wird der abgrundtief böse Wharton gegenübergestellt, der nicht nur hinter den Morden steckt für die unser Wunderheiler verurteilt wurde, sondern auch im Todestrakt jede Gelegenheit nutzt um Chaos zu stiften. Würde sich die Geschichte auf diese beiden Widersacher beschränken, wäre es für mich deutlich zu simpel. Zumal der Mord an Wharton - während er sicher verwahrt in seiner Zelle schläft! - nicht wirklich zur Anti-Todesstrafen-Message passt, die man aus dem restlichen Buch lesen kann. Was mich deutlich mehr fasziniert sind die spannende moralischen Grautöne der anderen Gefangenen. Hier nutzt King die ganze Breite des Mediums Fortsetzungsromans, um immer wieder Schlaglichter auf die anderen Insassen und ihre sehr verschiedenen Geschichten zu werfen. Das ist auch einer der großen Vorteile gegenüber dem Film, der sich zwangsläufig mehr auf die klar umrissenen Hauptfiguren konzentrieren muss.
Dabei finde ich auch die Entscheidung, einen Aufseher zum Erzähler und Sympathieträger zu machen sehr erfrischend. Würden wir - wie in ''Pin Up'' - aus den Augen eines Mithäftlings auf die wundersamen Ereignisse im Todestrakt schauen, würden wir einige interessante moralische Fragen verpassen. Ist es Unrecht einen Hebel umzulegen und einen gottgesandten Wunderheiler in einen toten Häftling zu verwandeln? Oder erst wenn man berechtigte Zweifel an seiner Schuld hat? Oder ist es vielleicht in allen Fällen falsch, Menschen das Lebensrecht abzusprechen. Ein ganzer Haufen Fragen, der gestellt aber nicht beantwortet werden kann, aber aus der Perspektive des zweifelnden Vollzugsbeamten hervorragend funktioniert. Auch dass unser Erzähler uns gleich noch Einblick in sein Leben im Alter gibt, passt als Rahmenhandlung erstaunlich gut ins Gesamtkonzept. Der Vergleich zwischen Altenheim und Gefängnis mag nicht ganz originell sein, ist hier aber sehr nett umgesetzt, wenn Edgecombe sich plötzlich auf der anderen Seite wiederfindet. Allerdings ist es ein bisschen nervig, wenn er pünktlich zu jedem neuen Teil wieder nacherzählt was man schon weiß, um mögliche neue Leser auf den neuesten Stand zu bringen. Das hätte man in der Gesamtausgabe gerne rausstreichen können, stört aber nicht so sehr das dass es einen Punkt kosten würde.
Ein Buch, das so tief im Thema Todesstrafe verwurzelt ist steht und fällt natürlich mit den Hinrichtungsszenen - und hier kann unser Autor mal wieder zeigen, wie geschickt er auf dem schmalen Grad zwischen emotionalem Kitsch und nüchterner Distanz balanciert. Wirklich erstaunlich, dass der gleiche King, der in anderen Werken Hunderte in den Tod schickt ohne mit der Wimper zu zucken, hier so ausführliche, dramatische und persönliche Abschiede hinbekommt. Dabei Trotzdem muss ich zugeben, dass mich der Tod von Mr. Jingels tatsächlich am meisten berührt hat. Zum einen war er das letzte sichtbare magische Element, um die märchenhafte Gefängniswelt mit dem tristen Altenheim zu verbinden. Zum anderen hat das Sterben von Tieren für mich auch immer ein ganz besonderes Grauen. Während Menschen - insbesondere im Todestrakt - zumindest intellektuell erfassen, dass ihr Ende bevorsteht, leben Tiere in einem ewigen, zeitlosen Jetzt, können sich nicht erklären, warum sie plötzlich schwächer werden und finden den Tod ohne sich mit Gedanken an ein Danach ablenken zu können. Daneben funktioniert der Tod der Maus als perfekter melancholischer Schlusspunkt, um Edgecombe endgültig klar zu machen, dass auch er ums Sterben nicht herumkommen wird. Der Tod wartet auf jeden, egal wie lang die grüne Meile wird.
Fazit: Vielleicht nicht Kings ausgefeiltester Roman, auf jeden Fall nicht sein rundester - aber für mich mit Abstand der anrührendste.
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