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Der Musterschüler: Rezension

7.018 Byte hinzugefügt, 09:55, 5. Okt. 2018
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Fazit: Eine der bizarrsten und gleichsam krankesten Geschichten aus Kings Feder die zeigt was passieren könnte, wenn die falschen Personen aufeinander treffen und gegenseitig die dunkle Seite in sich öffnen. Ein gelungenes Werk über die Macht des Bösen.
 
==[[Benutzer:Horaz Klotz|Horaz Klotz]] (4 / 5)==
 
Mit ''Der Musterschüler'' zeigt King einmal wieder, wie gut er - ohne jeden übernatürlichen doppelten Boden - über ganz menschliche Monster schreiben kann. Dabei ist es eine Geschichte bei der sehr viel stimmen muss, damit sie funktioniert. Die Schrecken des Konzentrationslager dürfen weder verharmlost noch für pure Schockeffekte ausgeschlachtet werden. Dussander muss erpressbar sein ohne zum tragischen Opfer zu werden. Die Hauptfiguren müssen nachvollziehbar genug sein, dass der Leser mit ihnen mitfiebern kann, ohne dass ihre Taten entschuldigt werden. Sie dürfen weder zu sympathisch noch reine langweilige Klischeebösewichte werden. King umschifft jede dieser Klippen bis auf einige kleine Ausrutscher - das ist schon mal eine Leistung für sich. Und ganz nebenbei webt er noch eine Anklage an die amerikanische Vorzeigefamilie ein, die die Story bis heute erschreckend aktuell macht. Der All American Boy Todd Bowden ist ein eiskalter Psychopath - aber er ist auch Spiegel einer Gesellschaft, in der Eltern sich nur für Noten und Sportabzeichen interessieren, junge Männer rund um die Welt in Kriege geschickt werden und eine Portion Rassismus so natürlich dazugehört wie die Coke zum Burger.
 
Dabei ist es eine gute Idee, die Geschichte ganz auf unsere beiden Hauptfiguren zuzuschneiden. Dussander und Todd entwickeln sich zu fesselnden Charakteren und die immer wechselnden Machtverhältnisse in ihrer komplizierten Beziehung sorgen für immer neue Spannungen, da braucht es keinen großen Fokus auf Nebenfiguren. Dabei stört es mich kein bisschen dass keine unserer Hauptfiguren als Identifikationsfigur taugt. Im Gegenteil, ich verbringe gern mal ein bisschen Zeit in komplett fremden, kruden Gedankenwelten. Und besonders Todds Gespräche mit seinen Eltern, bei denen er versucht die Heile Welt-Fassade aufrecht zu halten, während in seinem Inneren mörderischer Hass tobt, bringen auch eine komische Note in die sonst oft schwer verdauliche Geschichte. Dabei durchläuft unser Musterschüler eine Verwandlung nach der anderen, verstrickt sich mehr und mehr in seine Gewaltfantasien, wird vom unschuldigen Hobbydetektiv zum Mörder und von einer pfeifenden Frohnatur zum gehetzten Nervenbündel. Es spricht für Kings Talent, dass der Charakter in jedem Stadium funktioniert und jede Entwicklung halbwegs nachvollziehbar verläuft. Dussanders Teil der Geschichte kann hier leider nicht immer mithalten. Sein "zweiter Frühling" als Massenmörder ist nett schaurig beschrieben und wenn er mit der Dreistigkeit des wahren Psychopathen über die amerikanische Kriegsmentalität lästert funktioniert das hervorragend. Dagegen fand ich die ausgedehnte Szene mit der Katze und im Tierheim, in der er etwas unmotiviert beginnt niedliche Tierchen umzubringen um sich und uns daran zu erinnern, dass er ein eiskalter Killer ist, ein bisschen überzogen. Außerdem verliert sich seine Geschichte in der zweiten Hälfte etwas zu sehr in immer gleichen Traumbeschreibungen - ein vergleichsweise billiger psychologischer Trick, auf den King leider immer wieder gern zurückgreift.
 
Von den Nebenfiguren bleibt besonders Betreuungslehrer French in Erinnerung. Mr und Mrs Bowden funktionieren zwar als Vorstadt-Abziehbilder, auf die sich Todds tobendes Unterbewusstsein einschießen kann, bleiben aber sonst relativ farblos. Weiskopf hat zwar ein paar wirklich nette Szenen, taucht aber zu spät auf um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bleibt noch der Betreuungslehrer. King traut sich hier im Klischee zu bleiben - wenn unser Protagonist der hochintelligente, sportliche und auch sonst perfekte Musterschüler ist, ist seine Nemesis natürlich eine inkompetente Witzfigur. So stolpert French teilweise ein bisschen unkoordiniert durch die Handlung und muss immer wieder Glückstreffer spendiert bekommen, um am Ball bleiben zu können. Diese Naivität gepaart seiner grundsätzlichen Menschenfreundlichkeit, die so gar nicht in die Geschichte zu passen scheint, macht ihn dann auch zum perfekten Opfer. Wenn Todd einen Menschen mit Namen und eigener Geschichte ermorden musste, damit auch der Letzte versteht wie gewissenlos Todd inzwischen ist, war der harmlose Gummi-Ede die perfekte Wahl.
 
Dagegen wirken die zahlreichen Morde an Obdachlosen teilweise etwas unmotiviert. Zumal es tatsächlich ein ziemlicher Zufall ist, dass sich unsere beiden Hauptfiguren ziemlich zeitgleich auf diesen Personenkreis einschießen. Das hätte wahrscheinlich besser funktioniert, wenn sie schon früher einen gemeinsamen Mord begangen oder sich zumindest etwas intensiver über das Thema "Endlösung für das Pennerproblem" unterhalten hätten, Zeit genug hätte sie ja gehabt. Außerdem stört mich die Stelle an der die toten Obdachlosen in die Handlung geschoben werden - der Horror der Versetzungsgefährdung wurde abgewendet, die Beziehung zwischen Todd und Dussander kühlt gerade ab, also werden ein paar Morde begangen um die Spannung zu halten. Daneben bleibt die grundsätzliche Frage ob es nötig war, den realen Schrecken des Holocaust, die an Dussanders Küchentisch ausgebreitet werden, diese fiktiv-blutigen Morde gegenüber zustellen.
 
Auch mit dem Schluss habe ich kleine Probleme. Dussanders Selbstmord fand ich erzählerisch großartig, irgendwo zwischen dem Triumph noch ein letztes mal entkommen zu sein und der Angst vor dem großen ''Danach''. Das ist meilenweit entfernt von allen karmischen Rachephantasien, die sich bis hier im Leser aufgebaut haben. King hat ihn als Mensch geschrieben und lässt ihn als Mensch sterben. Dafür ist der Weg zu diesem Ende erzählerisch ein bisschen sehr holprig. Dass der Altnazi ausgerechnet das Krankenbett neben einem ehemaligen KZ-Häftling bekommt kann ich gerade noch glauben. Aber warum sollte der angeblich so erfahrene Nazi-Jäger Weiskopf Dussander großspurig darüber informieren, dass er erkannt ist, bevor er festgenommen wird? Und warum lässt man ihn, der ja angeblich schon so oft knapp der Verhaftung entkommen ist, dann unbewacht im Krankenzimmer zurück? Das sind einfach ein paar Schlampigkeiten zu viel, die sich besonders beim zweiten Mal nicht mehr überlesen lassen. Bei Todd sieht die Sache genau anders herum aus. Sein Verhör rattert konsequent dahin, die Schlinge zieht sich ganz natürlich immer weiter zu. Auch mit seinem großartig lakonischen offenen Ende habe ich prinzipiell kein Problem. Nur bricht Kings groß angelegte Gesellschaftskritik, die er an dem Charakter aufgezogen hat, ein Stück weit zusammen, wenn er am Ende als Monster erkannt und aus der Gesellschaft entfernt wird. Ich bin mir nur wirklich nicht sicher, ob man das ganze irgendwie geschickter hätte lösen können. Das Ende der Verfilmung hat mir jedenfalls noch weniger gefallen.
 
Fazit: Mal wieder eine der Geschichten, die lange im Gedächtnis bleiben. Ein fesselnd-düsterer Ausflug in die Tiefen der Psyche und der Geschichte, bei dem King sehr viel mehr richtig als falsch macht.
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