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''Sie'' ist ein geniales Buch – und mit Annie Wilkes hat King für mich eine der überzeugendsten und vielschichtigsten weiblichen Bösewichte aller Zeiten geschaffen. | ''Sie'' ist ein geniales Buch – und mit Annie Wilkes hat King für mich eine der überzeugendsten und vielschichtigsten weiblichen Bösewichte aller Zeiten geschaffen. | ||
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+ | ==[[Benutzer:Horaz Klotz|Horaz Klotz]] (4 / 5)== | ||
+ | ''Sie'' gehört zu den King-Romanen, die sich so tief in die US-Popkultur gegraben haben, dass ich schon genau zu wissen glaubte was mich erwartet. ''Carrie'' und ''Shining'' sind andere solche Fälle. Ich habe das Gefühl schon Dutzende Parodien und Anspielungen dazu gesehen zu haben, die mir jeden Twist vorweggenommen haben. Wenn ich schon ein ziemlich klares Bild davon habe, wer in was verstrickt wird und wie das ganze ausgeht wozu es dann noch selber lesen? - Dachte ich zumindest. Jetzt bin ich ziemlich froh, dass ich mich trotzdem an ''Sie'' gesetzt habe, denn das Buch lohnt sich auch wenn man schon alles zu kennen glaubt. | ||
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+ | Zuerst mal war ich regelrecht geschockt wie brutal und schonungslos King hier mit seinem Protagonisten umgeht - darauf hatte mich keine der Parodie-Versionen vorbereitet. Sheldon und der Leser werden direkt in eine Welt aus Verwirrung und Schmerz geworfen. Ein ziemlich genialer Einstieg, der sehr klar macht was uns auf den nächsten paar Hundert Seiten erwartet. Zum Glück hat King mit Annie Wilkes genau die richtige Antagonistin parat, um den Horror auch weiterhin hochzuhalten. Das klappt perfekt, gerade weil sie so viele scheinbar entgegengesetzte Eigenschaften in sich vereint - dass man nie genau weiß mit wem man es zu tun hat, macht einiges des Grauens aus. Was andere Autoren auf drei oder mehr Charaktere verteilen, bündelt King auf diese eine brodelnde Wahnsinnige: Annie Wilkes, die kalt strategisch Patienten umbringt, die ihr nicht gefallen. Annie Wilkes, die wie ein trotziges Kind tobt (und flucht), wenn ihr Lieblingsbuch die falsche Wendung nimmt. Annie Wilkes, die völlig durchgedreht Menschen und Tiere zerfleischt. Damit bereitet sie unserem armen Protagonisten ein so teuflisches Wechselbad aus psychischen und physischen Qualen, bis man selber nicht mehr genau weiß was schlimmer ist - ein hart erarbeitetes Manuskript zu verlieren oder den Fuß. | ||
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+ | Daneben bedient unser Autor mal wieder mit unbarmherziger Präzision eine weit verbreitete menschliche Grundangst. War ''ES'' das Buch für Clown-Phobiker, spricht ''Sie'' alle Ängste an, die sich mit einem längeren Krankenhausaufenthalt verbinden lassen. Man liegt hilflos da, abgeschnitten von der echten Welt und völlig den Launen eines anderen ausgeliefert, der mit dem eigenen Körper machen kann was er will und nach Belieben Gliedmaßen amputiert. Stellenweise kratzt das ein bisschen am Klischee. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass Annie Wilkes eines morgens als Zahnärztin neben Sheldon steht und anfängt ein paar Zähne zu ziehen - ohne Betäubung versteht sich. Aber immerhin zeigt King hier mal wieder eindrucksvoll, dass seine menschlichen Bösewichte mindestens so schaurig sein können, wie die Fantasymonster mit denen er seine Welt sonst so gern bevölkert. | ||
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+ | In diesem Krankenhaus-Albtraum baut unser Autor das Katz- und Mausspiel seiner Figuren sehr geschickt auf. Man hofft, dass Sheldon einmal einen kleinen Sieg davon trägt, wenn er Pillen hortet oder allein durchs Haus schleicht - und ahnt doch jedes Mal, dass er wieder geschnappt wird. So sehr man ihm wünscht einmal eine Pause bekommt, einmal zu Atem zu kommen, die Konfrontation mit seiner Peinigerin bleiben mit Abstand die spannendsten Stellen des Buches. Wenn unser Protagonist zu lange allein gelassen wird, wird es manchmal tatsächlich ein bisschen langatmig. Zum Beispiel wenn Sheldon mal wieder ein bisschen zu ausführlich über die nächste Passage im Miserys-Abenteuer brütet. Sobald das Buch im Buch fertig geschrieben ist und der Endkampf vor der Tür steht wird es aber wieder richtig spektakulär. Heute liest sich Sheldons letzte Finte natürlich wie eine frühe Version des Endes von ''Finderlohn'', die aber deutlich weniger reibungslos funktioniert, wie der vergleichsweise einfache Tod von Morris Bellamy. Man kann darüber diskutieren, ob es nötig war der eigentlich abgeschlossenen Handlung noch ein kurzes 4. Kapitel hinterherzuschieben nur um zu erfahren wie Sheldon sein Abenteuer verdaut hat und wie sich der neueste Misery-Roman so verkauft, aber immerhin endet es auf einer so unerwarteten wie netten optimistischen Note. | ||
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+ | Fazit: Deutlich brutaler, fesselnder und immer wieder anders als erwartet. Vielleicht sollte ich ''Carrie'' und ''Shining'' doch mal eine Chance geben. | ||
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Aktuelle Version vom 13. November 2018, 12:55 Uhr
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Inhaltsverzeichnis
Croaton (5 / 5)
Keine Frage: Das 'Hobbeln' dürfte der intensivste King-Moment aller Zeiten sein, Annies Satz "Keine Bange, ich bin eine ausgebildete Krankenschwester" der beste King-Oneliner!
Sie trifft den Leser bei seinen Urängsten: Das völlige Ausgeliefertsein, ständige Schmerzen, absolute Machtlosigkeit. Paul wird psychisch wie physisch gefoltert – und dies geht mehr an die Nieren als Filme wie Hostel das je könnten (der einzige Roman, der das noch überbieten kann, ist für mich Evil ); denn Annie handelt aus einer Mischung aus Liebe und Wahnsinn. Die Momente, in denen Paul sich schämt, weil er glaubt, Annie (die ihn schließlich gerettet hat) Unrecht zu tun, nur um sich danach zu fragen, ob er nicht langsam durchdreht, gehören zu den verstörendsten des Romans.
Die Auszüge aus den Misery-Romanen wirken wie ein Fremdkörper, doch man muss sie nicht mitlesen, um der Haupthandlung folgen zu können. Ehrlich gesagt nerven sie mich, vor allem gegen Ende, wenn Pauls Buch immer melodramatischer wird. Auch Pauls viele, teils philosophische Betrachtungen des Schreibens ziehen die Handlung etwas unnötig in die Länge, und die Szene, als Annie die Ratte zerfleischt und sich ihr Blut von den Fingern leckt, passt nicht in die Stimmung des restlichen Romans. Und dennoch ...
Wer kann die vielen Seiten vergessen, wenn Paul (begleitet von einem Radiokommentator in seinem Kopf) erstmals aus seinem Zimmer flieht und fast erwischt wird? Den Moment, als Paul im Keller glaubt, der tote Duane Kushner sei zurückgekehrt, um ihn sich zu holen? Den Schlusskampf, bei dem schief geht, was schief gehen kann?
Natürlich trägt auch die (gelungene, wenn auch leider zu arg entschärfte) Verfilmung zum Mythos des Romans bei. Dass man sich Annie nicht mehr anders vorstellen kann als wie Kathy Bates stört mich dabei nicht, denn Kathy ist genial. Auch James Caan überzeugt – wer kann besser Schmerzen spielen?
Sie ist ein geniales Buch – und mit Annie Wilkes hat King für mich eine der überzeugendsten und vielschichtigsten weiblichen Bösewichte aller Zeiten geschaffen.
Horaz Klotz (4 / 5)
Sie gehört zu den King-Romanen, die sich so tief in die US-Popkultur gegraben haben, dass ich schon genau zu wissen glaubte was mich erwartet. Carrie und Shining sind andere solche Fälle. Ich habe das Gefühl schon Dutzende Parodien und Anspielungen dazu gesehen zu haben, die mir jeden Twist vorweggenommen haben. Wenn ich schon ein ziemlich klares Bild davon habe, wer in was verstrickt wird und wie das ganze ausgeht wozu es dann noch selber lesen? - Dachte ich zumindest. Jetzt bin ich ziemlich froh, dass ich mich trotzdem an Sie gesetzt habe, denn das Buch lohnt sich auch wenn man schon alles zu kennen glaubt.
Zuerst mal war ich regelrecht geschockt wie brutal und schonungslos King hier mit seinem Protagonisten umgeht - darauf hatte mich keine der Parodie-Versionen vorbereitet. Sheldon und der Leser werden direkt in eine Welt aus Verwirrung und Schmerz geworfen. Ein ziemlich genialer Einstieg, der sehr klar macht was uns auf den nächsten paar Hundert Seiten erwartet. Zum Glück hat King mit Annie Wilkes genau die richtige Antagonistin parat, um den Horror auch weiterhin hochzuhalten. Das klappt perfekt, gerade weil sie so viele scheinbar entgegengesetzte Eigenschaften in sich vereint - dass man nie genau weiß mit wem man es zu tun hat, macht einiges des Grauens aus. Was andere Autoren auf drei oder mehr Charaktere verteilen, bündelt King auf diese eine brodelnde Wahnsinnige: Annie Wilkes, die kalt strategisch Patienten umbringt, die ihr nicht gefallen. Annie Wilkes, die wie ein trotziges Kind tobt (und flucht), wenn ihr Lieblingsbuch die falsche Wendung nimmt. Annie Wilkes, die völlig durchgedreht Menschen und Tiere zerfleischt. Damit bereitet sie unserem armen Protagonisten ein so teuflisches Wechselbad aus psychischen und physischen Qualen, bis man selber nicht mehr genau weiß was schlimmer ist - ein hart erarbeitetes Manuskript zu verlieren oder den Fuß.
Daneben bedient unser Autor mal wieder mit unbarmherziger Präzision eine weit verbreitete menschliche Grundangst. War ES das Buch für Clown-Phobiker, spricht Sie alle Ängste an, die sich mit einem längeren Krankenhausaufenthalt verbinden lassen. Man liegt hilflos da, abgeschnitten von der echten Welt und völlig den Launen eines anderen ausgeliefert, der mit dem eigenen Körper machen kann was er will und nach Belieben Gliedmaßen amputiert. Stellenweise kratzt das ein bisschen am Klischee. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass Annie Wilkes eines morgens als Zahnärztin neben Sheldon steht und anfängt ein paar Zähne zu ziehen - ohne Betäubung versteht sich. Aber immerhin zeigt King hier mal wieder eindrucksvoll, dass seine menschlichen Bösewichte mindestens so schaurig sein können, wie die Fantasymonster mit denen er seine Welt sonst so gern bevölkert.
In diesem Krankenhaus-Albtraum baut unser Autor das Katz- und Mausspiel seiner Figuren sehr geschickt auf. Man hofft, dass Sheldon einmal einen kleinen Sieg davon trägt, wenn er Pillen hortet oder allein durchs Haus schleicht - und ahnt doch jedes Mal, dass er wieder geschnappt wird. So sehr man ihm wünscht einmal eine Pause bekommt, einmal zu Atem zu kommen, die Konfrontation mit seiner Peinigerin bleiben mit Abstand die spannendsten Stellen des Buches. Wenn unser Protagonist zu lange allein gelassen wird, wird es manchmal tatsächlich ein bisschen langatmig. Zum Beispiel wenn Sheldon mal wieder ein bisschen zu ausführlich über die nächste Passage im Miserys-Abenteuer brütet. Sobald das Buch im Buch fertig geschrieben ist und der Endkampf vor der Tür steht wird es aber wieder richtig spektakulär. Heute liest sich Sheldons letzte Finte natürlich wie eine frühe Version des Endes von Finderlohn, die aber deutlich weniger reibungslos funktioniert, wie der vergleichsweise einfache Tod von Morris Bellamy. Man kann darüber diskutieren, ob es nötig war der eigentlich abgeschlossenen Handlung noch ein kurzes 4. Kapitel hinterherzuschieben nur um zu erfahren wie Sheldon sein Abenteuer verdaut hat und wie sich der neueste Misery-Roman so verkauft, aber immerhin endet es auf einer so unerwarteten wie netten optimistischen Note.
Fazit: Deutlich brutaler, fesselnder und immer wieder anders als erwartet. Vielleicht sollte ich Carrie und Shining doch mal eine Chance geben.
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