Wahn: Rezension

Version vom 8. Mai 2016, 23:20 Uhr von Andreas (Diskussion | Beiträge) ([Bot] Tiberius -> Andreas)


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Croaton (4 / 5)

Zugegeben, als ich Stephen Kings Roman Wahn zum ersten Mal fertig gelesen hatte, schwankte ich zwischen 2 bis 3 Punkten, zu wirr war mir der Schluss, zu enttäuscht war ich von den vielen ungeklärten Fragen, die King aufwirft und dann einfach offen lässt (meine Gefühlsbäder werden wohl auch in meinem Duma Key-Tagebuch deutlich!), zu sehr hatte ich mich auf einen Edgar-malt-das-Böse-in-Grund-und-Boden-Showdown gefreut, der nicht kam.

Dass die ersten zwei Drittel volle 5 Punkte verdienen, kann keine Frage sein. Wie Edgar Freemantle um seine Rehabilitation kämpft und sein neues Talent entdeckt, das schnell übersinnliche Proportionen annimmt (siehe auch Edgars Kunstwerke), ist King vom Allerfeinsten. Doch mit der Einführung des Bösewichtes, des weiblichen Dämons Perse, wird die Geschichte nicht nur zunehmend surreal, sondern auch immer verworrener – nach der ersten Lektüre habe ich ungefähr nichts kapiert. Insofern ist Kings Erzählperspektive, der Ich-Erzähler, hier geschickt gewählt: King muss nicht viel erklären, da auch Edgar nicht alles versteht. Während er und seine Mitstreiter Wireman und Jack sich damit aber zufrieden geben, möchte ich als Leser mehr erfahren und Hintergründe verstehen. Lediglich der Gesamtkontext von Kings Werk kann Antworten bieten, da Perse sich wohl in die Reihe der Außenseiter einordnen lässt, die einfach existieren, ohne dass wir Menschen dies je ganz begreifen könnten.

Fazit: Wohl hauptsächlich ein Buch für Fans; das letzte Drittel wird den "gewöhnlichen" Leser eher ratlos zurücklassen.

Andreas (5 / 5)

Ein Buch mit dem ich mich verabschiede, ein Buch bei dem ich wahrscheinlich für immer Lebe wohl sage. Nicht zu Stephen King! Oh nein, Gott behüte seine Schritte, dass dieser Schriftsteller noch weitere Werke wie dieses schaffen kann. Ich sage nicht Auf Wiedersehen, sondern Tschüss zu den deutschen Übersetzungen. Duma Key habe ich zum ersten mal komplett im Original lesen können, ohne die deutsche Vorlage vor mir gehabt zu haben. Doch ohne Netz und den doppelten Boden der deutschen Übersetzung lebt es sich prima. Wollte ich die deutsche Ausgabe nach dem dritten oder vierten Kapitel einfach nur noch entsorgen, bin ich mit dem Original schon auf gutem Weg, die erste Wiederholung zu schaffen.

King entführt uns und seinen Hauptcharakter heraus aus seinem angestammten Platz. Der Leser springt von Maine nach Florida. Edgar Freemantle von Minnesota nach Duma Key. Hier lernt er zu zeichnen. Nicht nur, was er sieht. Sondern viel mehr die Surrealität. Und genau zu diesem Zeitpunkt kommt das Übernatürliche ins Spiel. Ähnlich (aber nicht genau wie) Patrick Danville werden oder waren seine Werke Wirklichkeit. Etwas äußerst Mächtiges ist dort am Werk und verteilt Angst und Schrecken.

Wie Kings Agent behauptet, ist die Geschichte die einer Scheidung, so wie Lisey's Story die einer Ehe war. Ich stimme mit ihm überein. So, wie die Ehe zwischen Lisey und Scott Landon im verganenen Roman der Auslöser war, ist es hier die Scheidung von Eddy und seiner Frau Pam. Doch trotz aller Umstände sind sich beide Paare noch nah. Pam und Edgar telefonieren mehrfach. Selten, ja fast nie, auf Grund positiver Ereignisse. Und doch ist Duma Key anders. Es ist nicht nur die geographische, sondern auch die zwischenmenschliche Umgebung, auf die Edgar trifft. Es sind nicht die Nordamerikanischen Leute aus Maine, sondern Leute wie Wireman und Jack Cantori, die scheinbar leichtmütiger sind.

Hat die Geschichte Schwächen? Möglich, sogar sehr wahrscheinlich, aber welche Geschichte über Übernatürliche Ereignisse ist perfekt? Edgar zeichnet im Laufe seines Aufenthaltes auf Duma Key unzählige Gemälde, Skizzen und andere Zeichnungen. Und dennoch findet der letzte Kampf nicht mit dem Stift statt, sondern viel mehr in Gedanken. Klar, ein bischen Handwerk ist auch dabei, aber letztendlich ist es der Wille Edgars, der alles wieder ins Reine bringt.

King verteilt in diesem Roman wieder ein paar seiner Feinheiten. Wie süße Bonbons - auch wenn sie mitunter äußerst sauer schmecken - finden wir diese kleinen Andeutungen (ich erinnere daran, wie er Ilses letzten Abschied aus Sarasota beschrieb), die kleinen Querverbindungen (die 19 taucht herrlich offensichtlich auf und ist mitunter auf interessante Art und Weise versteckt) und schließlich der offene Umgang mit seiner eigenen Umgebung. Digitalkameras, Google und Email haben den Weg in seine Romane gefunden. Es ist schön zu sehen, dass Stephen King zwar älter werden mag, er aber weiterhin von seiner Umgebung beeinflusst wird.

Was bleibt als Fazit? Änderungen erscheinen wichtig. Sei es für die Charaktere, sei es für den Autor, oder für uns als Leser. Das die Qualität der resultierenden Werke leidet, kann mitunter sein. Aber nicht hier und nicht jetzt.

Wörterschmied (4 / 5)

Wahn ist der neueste Geniestreich von Stephen King!

Schrieb King mit Puls eine für ihn eher unübliche Geschichte, die mehr an einen Zombieschocker erinnert als an Bücher wie Friedhof der Kuscheltiere oder Shining, so kann diesem Buch dennoch einiges nachgesagt werden, aber keine Langeweile! Auch bei Love weicht King von seinem Horrorgenre ab und erzählt die Geschichte einer Frau, die zwar mit magischen Momenten, aber weniger mit Horror zu tun bekommt.

Auch Wahn stellt sich erneut als eine Art Experiment Kings dar. Zum einen lässt er die Handlung in den Staaten Florida und Minnesota spielen, anstatt wie so häufig in Maine (nennenswerte Ausnahmen bildet hier vor am ehesten Das Schwarze Haus mit French Landing, Wisconsin), zum anderen versucht King hier das Horrorgenre wieder in eine neue Richtung zu lenken.

Vorbei sind die Tage von Axtmördern, psychotischen Clowns oder Vampiren – der moderne King-Held kämpf (vergleichbar mit Don Quichote) einen ausweglosen Kampf gegen einen Baukran und um seine geistige und körperliche Genesung: Edgar Freemantle verliert einen Arm und einen guten Haps seines Sprachvermögens. Dies versucht er mit einer ganz neuartigen Methode: dem Zeichnen. Gab es in Kings Werken schon viele Schriftsteller, so schafft King mit Eddie und Elizabeth Eastlake eine neue Riege von Künstlern, die sich nicht durch Worte, sondern durch Bilder ausdrücken.

Nach einem relativ langen (aber nicht langweiligen!) Teil, der sich vor allem mit Kunst und dem Leben selbst beschäftigt ("art for art's sake"), erfolgt erst die Entwicklung der kingtypischen Handlung: das Auftauchen einer bösen Macht (Perse), welche die Handlung erst befangen erscheinen lässt. Nur schleichend entflieht die Handlung in das Reich des Irrealen und kingtypischen Alles-ist-möglich – aber gerade dies macht die Handlung fassbarer als jene von Puls, welche direkt mit dem Untergang der Zivilisation beginnt und ein ständiger Höhepunkt auf Anabolika ist.

Der Roman zeichnet sich vor allem durch drei Dinge aus:

  1. Seine Charaktere: Die Beziehung zwischen Ilse Freemantle und ihrem Vater Eddie ist so rührend und herzlich wie noch keine Bindung, die je in einem King-Werk zu finden war. Sind die Musketiere Nummer 2 und 3, Jerome Wireman und Jack Cantori, mehr oder weniger Neuerfindungen altbekannter Personentypen (der weise Berater: Jud Crandall, Dick Hallorann, Glen Bateman und der hilfreiche und treue Jüngling: Jake Chambers, Dennis Guilder, Eddie Dean), so sind ihre Rollen in keinster Weise ausgelutscht oder langweilig.
  2. Seine Eloquenz: Von meiner Position aus, lässt sich Wahn ohne Abstriche als das sprachgewaltigste Werk des Schriftstellers bezeichnen. Bereits nach den ersten zwei Seiten war ich gefangen von der Sprache und dem Stil. Kein anderer Roman kann sich dieser (ich finde leider kein deutsches Wort dafür) Matter-of-fact-Stimmung („Meine Frau ist tot… aber das ist in Ordnung: Ich habe eine Neue gefunden!“) auf so göttliche Art bedienen! Vor allem Wiremans Sprüche wie „Jesus Krispies!“ oder „time for her four o’clockies“ werden mir wohl nie wieder aus dem Kopf gehen … und noch heute erwische ich mich oft dabei, (für andere scheinbar sinnlos) lachen zu müssen, wenn mir jemand einen Keks anbietet.
  3. Last but not least: Absurdität: Viele Handlungsfäden sind so absurd und einfach einzigartig, dass man sich fragen muss, was man beim Schreiben schnüffeln muss, um auf solche Ideen zu kommen! Der böse Dämon wird in dem Batteriefach einer Taschenlampe eingesperrt – mehr brauche ich dazu nicht sagen, oder?

Fazit: Wahn ist definitiv das Beste, was King seit langer Zeit geschrieben hat und schon beim ersten Lesen war mir klar, dass ich das Buch noch oft lesen werde. Gespannt warte ich auf die englische Taschenbuchversion! Des weiteren ist das Buch ein Roman den man uuuuuuuuuunbedingt in seiner Originalsprache lesen sollte!

Mr. Dodd (4 / 5)

Was ist das besondere an Wahn? Ich wusste lange Zeit nicht, ob das ein Roman gänzlich ohne Horrorelemente wird, sondern einfach nur ein netter Floridaausflug. Das ich ihn dennoch mit 4 Punkten bewerten und dafür nicht drei abziehe, liegt einzig und allein an der Sprache, der Atmosspähre und den Charakteren.

Es passt einfach nur alles: Duma Key ist ein wunderbarer Ort, toll beschrieben. Edgar Freemantle eigentlich überhaupt kein Held, sondern nur ein schwer verletzter Mann, der eine Ort hat wo er in Frieden sein kann. Mit Jerome Wireman eine sehr interessante Person, die beim Selbstmord scheiterte und seitdem eine Art telepathische Fähigkeit hat. Das alles verbunden sorgt schon dafür, dass mir die ersten 600 Seiten super gefallen haben, ohne das irgendjemand brutal abgeschlachtet oder irgendein Fiesling böse Absichten hatte.

Die Macht der Bilder von Edgar wird schön beschrieben und perfekt angewandt, als er den Kindermörder Candy Brown per Bild tötet. Unheimlich und doch irgendwie brilliant umgesetzt.

Zum Ende hin gewinnt die Handlung dann auch noch an Spannung, nach Edgars erster Ausstellung, als die Bilder ihre unheimliche Macht ausüben und sich fast alle gegenseitig töten. Am traurigsten hier wohl der Tod von Edgars Tochter Ilse. Danach findet der Roman seinen Höhepunkt mit dem Kampf gegen die Porzellenfigur Perse, die hinter dem ganzen Dilemma steckt.

Abgerundet wird das alles immer durch anfangs seltsame Einschübe, die aber nacheinander das Leben von Elizabeth Eastlake und ihre Erfahrungen mit Perse erzählen. Aber auch hier gibt es einiges zu bemängeln, weshalb es nur 4 Punkte sind. Zunächst ist da der Ich-Erzähler, dem ich hier schon im zweiten Roman nacheinander begegnete. Noch dazu zerstört King auf äußerst blöde Weise die Spannung bei Illys Tod.